Die Entwicklung des Kletterns im Altmühltal und im Donaudurchbruch

von Eberhard Zieglmeier

Rostige, uralte Haken, mürbes und ausgebleichtes Schlingenmaterial im Fels, eiserne Gipfelfahnen, Wandbücher in korrodierenden Kassetten … ein aufmerksamer Kletterer kann an vielen Zeichen erkennen, dass an den Felsen des Altmühltales und Donaudurchbruches schon lange geklettert wird. Wo und wie wurde hier einst geklettert, als das Sportklettern noch nicht erfunden war und keine Bühlerhaken die Wände zierten?

Die Geschichte des Kletterns in der Region um Kelheim kann mehr als 100 Jahre zurückverfolgt werden, dauert bis heute an und kann an gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen gekoppelt werden.

I Gründerzeit 1900 – 1920 Besteigung markanter, landschaftsprägender Türme

Der Beginn des Kletterns in der Region liegt im Dunkel der Vergangenheit. Es existieren keine verlässlichen Aufzeichnungen über die frühesten Kletterunternehmungen. Um sich der Frage anzunähern, wann denn erstmals geklettert wurde an den Felsen des Altmühltales und des nahen Donaudurchbruches, scheint ein Blick in die Geschichtsbücher anderer Felsregionen angeraten zu sein. Im Elbsandsteingebirge etwa, in der Pfalz und auch im Frankenjura begannen sportliche Zeitgenossen spätestens um das Jahr 1900 herum auf markante Felstürme zu klettern. Seit die gewerkschaftliche und sozialdemokratische Arbeiterbewegung gegen Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts eine Reduzierung der v. a. im industriellen Bereich herrschenden exorbitanten Arbeitszeiten erstritten hatte, stand schlichtweg mehr Zeit zur Verfügung, die in der Natur zugebracht werden konnte. Die markantesten Felstürme im Altmühltal, der Frisch-Auf-Turm bei Meihern, der Prunner Turm, der Totensessel, Sphinx und Guglia di Prunn (Nähe Kastlwand) sind mit Sicherheit in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg oder kurz danach erstmals bestiegen worden, womöglich auch schon Blauer Klaus und Kiefernzapfen. Kletterer aus Nürnberg, Fürth und Regensburg dürften in dieser Zeit die treibenden Kräfte gewesen sein, gemeistert wurden dabei Schwierigkeiten bis zum oberen 5. Grad. Im Wilden Kaiser hatte Hans Dülfer 1912 an der Fleischbank-Ostwand (5 a0) und 1913 an der Totenkirchl-Westwand (5+ a0) schon gezeigt, wie zeitgenössisches extremes Klettern auszusehen hat. Die Entwicklung im Altmühltal in diesen Jahren kulminierte schließlich – erstmals konkret überliefert - in der Erstbesteigung des Deutsch-Österreicher Turmes 1920 durch Lanig und Biermeier über die Westseite, bewertet mit 5+ (heute glatt 6). In der Weltenburger Enge – damals noch kein Naturschutzgebiet – wurden in dieser Zeit schon Peter und Paul bestiegen (Donauroute 4+ durch Lanig, um 1920) sowie womöglich auch der Gipfel der Jungfrau erreicht (auch wenn Hans Tomandl eine Besteigung erst für das Jahr 1927 beschreibt). Die schon am Deutsch-Österreicher Turm erfolgreichen Lanig und Biermeier stiegen 1920 auch noch durch den FF-Kamin in der Bischofsbucht. Bei den Sachsen an der Elbe wurde damals übrigens schon der untere 7. Grad geklettert, seit der Formulierung verbindlicher Regeln durch Rudolf Fehrmann 1913 übrigens sauber und hilfsmittelfrei. Bei den Erstbegehungen um Kelheim ist anzunehmen, dass derart stilreines Freiklettern noch nachrangigen Wert besaß.

II 1920 – 1940 Zwischen den Weltkriegen: Erkletterung großer Massivwände auf logisch vorgegebenen Linien

Nach dem verlorenen 1. Weltkrieg geht die Weimarer Republik an den Start, im kosmopolitischen wie liberalen Berlin werden die „wilden Zwanziger“ gefeiert. Nach politischer Radikalisierung und der Weltwirtschaftskrise 1929 ist der Weg zu Faschismus und totalitärem System vorgezeichnet. An den Felsen der Weltenburger Enge und im Altmühltal wird gleichwohl unverdrossen weitergeklettert. Wie in den Alpen rücken nach der Eroberung aller Gipfel nun die markanten Linien in den Felswänden in den Fokus der Kletterer. Während in den Dolomiten, im Wilden Kaiser oder im Karwendel der sechste Grad erreicht wird und berühmte Touren entstehen (1925 Civetta-NW-Wand, Fleischbank-Südostwand, 1929 Lalidererwand-Nordwand), nehmen sich die Routen, die hier begangen werden, etwas schmalbrüstiger aus: 1925 erreichen Biermeier und Lickleder den Deutsch-Österreicher Turm über die Nordwand (5+), 1928 klettern Dassler, Knauer und Sachse aus Bamberg als Erste durch die Römerwand (6-). Naheliegend ist, dass in diesen Jahren auch die Schlossverschneidung am Schlossfels erstbegangen wird (ohne exakte Faktenbasis).

Richtig krachen lässt es dann 1934 Schultheiß aus Nürnberg: An der abweisendsten aller Wände im Altmühltal, der Schellneckwand, erschließt er gleich vier neue Wege: Die Frühstücksverschneidung, den Baumtafel- und Vorblockweg sowie die NW-Kante, alles um den sechsten Grad herum, aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch nicht komplett freigeklettert. (Hans Tomandl, Kletterer und Führerautor nach dem 2. Weltkrieg, berichtete, er habe am Einstieg der Frühstücksverschneidung einen Baumstamm vorgefunden, mit dessen Hilfe womöglich die ersten schweren Meter überlistet wurden. Auf einer Tafel an der Linde am Einstieg des Baumtafelweges seien alle vier Kletterrouten verzeichnet gewesen, zwar verblasst, so Tomandl, aber Anfang der 50er Jahre noch gut lesbar.) Schultheiß´ Mut 1934 am Schellneck ist dennoch bemerkenswert, auch wenn die Latte beim schweren Klettern im Steilfels anderswo noch höher gelegt wird: In die gleiche Zeit fällt die Bezwingung der ikonischen Nordwände von Großer (Comici 1933, 6 a0) und Westlicher Zinne (Cassin 1935, 6+ a2) in den Dolomiten.

1939 bricht Deutschland den 2. Weltkrieg vom Zaun. 1940 wird an den hiesigen Felsen noch der Halbmondweg (damals VI, heute 7/7+) an der Römerwand im Donaudurchbruch von Liebig aus Kelheim und Hastreiter geklettert, ein letztes klettersportliches Aufflackern in der Region, bevor Europa und die Welt in Chaos und Zivilisationsbruch versinken.

III 1945 – 1961 Die Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahre

Mai 1945 – das tausendjährige Reich liegt nach zwölf Jahren in Schutt und Asche. Ans Klettern denkt in der ersten Nachkriegszeit kaum ein Mensch, zu sehr drängt die tägliche Not. Erst nach Währungsreform 1948 und Gründung der Bundesrepublik 1949 rückt für die Überlebenden des Krieges, für die Zurückgekehrten und Heranwachsenden wieder die schönste (und wichtigste!) Nebensache der Welt in den Fokus. Hans Tomandl schreibt, der Klettersport habe ab 1950 „einen ungeahnten Aufschwung erlebt“. In dieser Zeit werden zahlreiche, bis heute gern gemachte Routen erstmals geklettert. Einige Erstbegeher dieser Jahre tauchen immer wieder auf: Ludwig Alber aus Etterzhausen (der am häufigsten genannt wird und offenbar den größten Auftrieb von allen hatte) sowie Böhmer, Effenhauser, Grieser, Körber, Kießl, Möck, Ode, Rucker und Scholz aus Regensburg. Von den Touren dieser Combo ragen der Alberkamin (damals VI, heute 6+) und der Kastlweg (damals VI, heute 7-) an der Kastlwand sowie der Böhmer-Ged.-Weg (damals wie heute 6-) am Deutsch-Österreicher Turm heraus. Aus Kelheim kamen Duschl, Egger, Klingshirn, Lentner, Rauch und - als Spiritus Rector - Hans Tomandl. Auf dessen Konto gehen von 1950 bis 1953 die meisten neuen Wege. Im persönlichen Gespräch meinte er, die schwierigste Felsfahrt sei für ihn 1951 der Weltenburger Riss in der Bischofsbucht gewesen. Die Tour ist bis heute ein glatter Sechser. 1953 verfasst Tomandl auch erstmals einen Kletterführer für das Donau- und Altmühltal, er nennt das Büchlein „Kelheimer Klettergarten“.

Ein Jahr später wird Deutschland überraschend Fußball-Weltmeister, das Wirtschaftswunder nimmt Fahrt auf und die unseligen Jahre des Nationalsozialismus werden verdrängt. Gegen Ende des Jahrzehnts – 1958 – nagelt sich jenseits des Atlantiks, im kalifornischen Yosemite Valley, Warren Harding erstmals durch die Nose am El Capitan. John Gill fängt in den USA mit dem Bouldern an. An der Römerwand im Donaudurchbruch wird 1959 von dem erst 18jährigen (!) Franz Baumann aus Regensburg die bis dato schwierigste Klettertour der Region eröffnet, der Regensburger Riss (6- a2). Die Tour ist ausgesetzt, logisch, steil, kompromisslos – gegen Ende der 50er Jahre ein Statement zeitgenössischen Klettervermögens, auch wenn dabei fleißig technisch geklettert wird. 1961 gibt Hans Tomandl die 2. (und letzte) Auflage seines Kletterführers heraus, das Werk fasst noch einmal den Status quo der Region zusammen.

IV 1961 – 1970 Fortschrittseuphorie und Technisches Klettern

Die 60er Jahre sind geprägt von großen technologischen Fortschritten: Es beginnt die bemannte Raumfahrt, in Deutschland gehen die ersten Kernkraftwerke ans Netz, die Bürger stellen sich Fernsehgeräte auf die Nierentische und werden mit Motorrad und VW Käfer mobil. Letztendlich ist es nur konsequent, wenn nun auch die Kletterer vermehrt auf technische Hilfen setzen. Ein entsprechendes Ausrufezeichen setzen 1961 zwei Franken, Rudi Borschert und Fred Geissler: An der Schellneckwand wählen sie in ihrem Weg der Jugend - anders als noch Schultheiß 1934 - völlig rissloses, teils überhängendes Gelände und orientieren sich dabei nur an markanten großen Löchern zum Standplatzbau. Die Tour wird mit 6 a2 bewertet, ein Sechser ist das Maximum, das die Skala zu der Zeit hergibt, a2 bedeutet zusätzlich ausgiebige Hakenbenutzung zur Fortbewegung. Zeitgleich wird auch in den USA das Techno-Credo gepredigt: Royal Robbins klettert 1961 erstmals durch die Salathé Wall am El Capitan – auch unter Verwendung aller erdenklichen Mittel. Der Stil setzt sich auf breiter Ebene durch und wird allgemein akzeptiert. Technische Wege entstehen nahezu überall – im Donaudurchbruch (Bienenkorb: Rechte Direttisima 5+ a3 und Regensburger Dach 6- a2, Lange Wand: Höhlenwege a2, Bischofsbucht: Donauweg 6- a2) und im Altmühltal (Frisch-Auf-Turm bei Meihern: SW-Wand 6- a2, Prunner Wand: Münchner Dach 6 a2, Schellneckwand: 1969 Regensburger Riss 5+ a2, Kastlwand: Nasenüberhang 6- a2, 1969 Simon-Müller-Ged.-Weg 6 a2). Sogar an der Friedrichsruh, dem Klettertempel späterer Jahrzehnte, gibt´s eine zeitgeistige Hakenrassel – den Grottenweg 6 a1, etwa im Verlauf der (heutigen) Route A taste of flash. Die Krönung der Hakenturnerei dieser Jahre stellt aber eindeutig das Fiechtldach a3 vom Regensburger Heinz Zembsch (Spitzname „Fiechtl“) an der Nordseite der Kastlwand dar, für die Überwindung dieses waagrechten Rissdaches dürfte kaum mehr Felsberührung notwendig gewesen sein.

Dass die 60er-Jahre-Generation auch richtig klettern kann, beweisen Franz Baumann und Bruno Wimmer am Schlossfels. Etwa 1965 erklettern sie den Hohen Riss (6+), ein vertikales, übles Kanonenrohr, in dem - wo´s schwer ist - außer durch einige Klemmblöcke keine Sicherung möglich ist. Zur Einordnung: Baumann und Wimmer klettern mit schweren Bergstiefeln, wie das damals unter „Extremen“ allgemein üblich ist. Auch heute noch erfordert der abschreckende Hohe Riss einen nervenstarken Vorsteiger, Wiederholer werfen mehr als 50 Jahre später Bewertungen zwischen 6+ und 8- aus… Im Elbsandsteingebirge klettert man derweil, Mitte der 60er Jahre, schon im unteren 8. Grad (UIAA), Reinhold Messner gelingt 1968 am Höhepunkt seiner Kletterlaufbahn der Mittelpfeiler am Heiligkreuzkofel (heute 8- oder 8), eine epochale Leistung. Um die gleiche Zeit werden in politisch-gesellschaftlicher Hinsicht alte Denkweisen hinterfragt, in Deutschland durch die APO und die Studentenbewegung unbequeme Fragen nach der Nazi-Vergangenheit aufgeworfen, wird bürgerliche Bequemlichkeit in Frage gestellt und gegen den Vietnamkrieg demonstriert. Es zeigt sich damit neues Denken, ein Kulturwandel bahnt sich an, das Woodstock-Festival 1969 und die Wahl Willy Brandts zum ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler sind weitere Symbole dafür.

V 1970 – 1979 Neues Denken in alten Routen

Ein international unübersehbares Zeichen, dass sich das gesellschaftliche Klima gewandelt hat, sind die Olympischen Spiele 1972 in München in weltoffener und anfangs geradezu heiterer Stimmungslage. Fußballprofis tragen plötzlich lange Haare und sind äußerlich von Rockstars nicht zu unterscheiden. In dieser Zeit, 1973, dem Jahr der Ölkrise und des Sonntagsfahrverbotes, sticht beim Klettern in der Region um Kelheim noch eine Tour im Stil der 60er heraus: Rainer Pickl, der junge Kurt Albert und Werner Kieckhäfer aus Nürnberg nageln sich durch den Silbernen Weg an der Kastlwand (6 a3), ein gewaltiges Brett durch abweisendes Gemäuer. Einer dieser Kletterer, Kurt Albert, besucht im gleichen Jahr erstmals das Elbsandsteingebirge und sieht, dass dort komplett anders geklettert wird – frei von technischen Hilfsmitteln bei der Fortbewegung. Kurt überträgt daraufhin diese Erkenntnis auf die heimischen Felsen. Und merkt, wie sehr das Ziehen an den Haken in den Jahren davor ein Holzweg war, in wie vielen bislang technisch gekletterten Wegen wider Erwarten genügend Griffe und Tritte zur Fortbewegung zu finden sind. 1975 beginnt er, alte Routen, von ihm frei geklettert, mit einem roten Punkt am Einstieg zu markieren. Diese Rotpunkt-Idee ist der Verdienst von Kurt Albert für alle (Kletter-)Zeiten: Er erkennt die Sackgasse, zeigt den Weg heraus und erfindet gleich eine plakative, verbindende Symbolik dafür. Das ist eine herausragende intellektuelle Leistung – bestechend einfach wie genial.

1977 kommt Kurt Albert auch im Altmühltal vorbei: Der Schiefe Riss (7+) am Prunner Turm, die Westwand (7) an der Prunner Wand, dann Strich (7) und Mehlwurm (7) an der Nordseite der Kastlwand sind der Anfang. Erstmals klettert er auch im unteren 8. Grad: Die erste freie Begehung vom Osterweg (8-) an der Westseite der Kastlwand ist Aufwärmprogramm für die Ikone dieser Jahre: Der Exorzist (8-) am gleichen Fels stellt eine neue Qualität dar - sächsisch inspiriertes, freies Klettern zwischen spärlich angebrachten Haken. Zeitgleich wird anderswo aber schon deutlich schwerer gezogen: Im Elbsandsteingebirge bezwingt Bernd Arnold die Superlative (IXc/8+), in den USA klettert Ray Jardine mit Phoenix (5.13a/9+) gar noch einen ganzen Grad schwerer.

1977 ist auch politisch ein aufgeladenes und brisantes Jahr, das die fromme Bürgerlichkeit bedroht: Während Kurt die roten Punkte malt und Helmut Kiene und Reinhard Karl im Wilden Kaiser die Pumprisse als ersten „offiziellen“ Siebener klettern, sieht sich die Bundesrepublik Deutschland im „Deutschen Herbst“ durch den RAF-Terrorismus der herausforderndsten Krise ihrer Geschichte gegenüber. Bundeskanzler Helmut Schmidt muss besonnen handeln und Entscheidungen mit folgenreicher Tragik treffen.

Während sich in den Jahren ab 1977 die Rotpunkt-Bewegung rasant im Rest der Republik ausbreitet, geht der Nürnberger Wolfgang „Flipper“ Fietz bouldern. Er hat die visionären Ideen von John Gill aus den USA aufgesogen und setzt diese nicht nur an Blöcken, sondern auch seilgesichert in bislang für unmöglich gehaltenen Wandbereichen um, auch im Altmühltal: Im Toprope bearbeitet er – oft zusammen mit Norbert Bätz – schon die großen Linien späterer Jahre: Mr. Magnesia, Tag der offenen Tür, New Wave, Magellan und das Face an den Schellneck-Felsen sowie Kanal im Rücken an der Kastlwand. Fietz versucht sich in all diesen Linien an den Einzelstellen, sind diese geknackt, sieht er das Problem als gelöst an. Die Rotpunkt-Begehung stellt für ihn keine Herausforderung dar. Geklettert wird inzwischen übrigens in eng sitzenden Reibungskletterschuhen (sog. EB´s), auch darauf ist das rasant steigende Schwierigkeitsniveau zurückzuführen.

Zum Ende der 70er Jahre, in dem noch zwei Kletterstile – Old School/Techno und New Wave/Rotpunkt munter nebeneinander existieren, darf einer der rührigsten Erschließer dieser Zeit nicht verschwiegen werden – Rainer Dickert aus Traidendorf bei Kallmünz. Er ist häufig Gast im Altmühltal und in der Weltenburger Enge und mit viel Auftrieb ausgestattet. Mayfels und Klausfels bei Essing verpasst er 1972 jeweils die erste Route (6- a1), 1977 geht am Schlossfels der Berliner Weg (6- a2) ebenso auf sein Konto wie ein Jahr später der Vergessene Pfeiler in der Bischofsbucht (6 a2). Seine Erstbegehungen klettert er mitunter auch solo, allerdings seilgesichert.

VI 1980 – 1986 Das Goldene Zeitalter – Weltspitze - Klassiker 1

1980, als der Westen die Olympischen Spiele in Moskau boykottiert, die Grünen als Partei gegründet werden und musikalisch die Hits der Neuen Deutschen Welle durch die Decke gehen, klettert Sepp Gschwendtner die Oberbayerische Analyse (8+) am Prunner Turm. Der Oberbayer Sepp Gschwendtner, der schon in den 60er Jahren im Stil dieser Zeit kletterte, kann sich nach einer längeren Pause flott mit den inzwischen etablierten Rotpunkt-Ideen anfreunden und ist häufig Gast im Altmühltal. Und nun geht es Schlag auf Schlag: 1981 klettert er das Münchner Dach an der Prunner Wand frei, mit Chasin the trane von John Bachar aus den USA der erste glatte Neuner in Deutschland. Das internationale Klettertreffen in Konstein im gleichen Jahr zieht Spitzenkletterer aus nah und fern an und hat ein riesiges mediales Echo in allen Bergsportgazetten, das Altmühltal ist in aller Munde.

1982: Helmut Kohl wird Bundeskanzler. Sepp sieht die unzähligen freien, logischen Linien und legt los: Als Erster klettert er den Weg des geringsten Widerstands (9-), Traumschiff (9), Paradepferd (8+) und Steinernes Meer (9-). Hinzu kommt Bavarian Reality (9-) am Bienenkorb im Donaudurchbruch, ein sieben Meter ausladendes Rissdach, das Sepp nur mit mobilen Sicherungen klettert. Er ist stets in den Szenemagazinen und Bergsportkatalogen abgebildet, stylisch mit knöchelhohen Hanwag-Kletterschuhen und roter Latzhose oder mit den damals aufkommenden Lycras. Hans Brunner, ein junger, knapp über 20 Jahre alter, aus Kelheim stammender Student, versucht, die anschwellende Neutourenflut zu ordnen und bringt seinen ersten Kletterführer heraus, handgezeichnet und in DIN A4-Loseblattform. Auch im Donaudurchbruch wird der Standard bis zum neunten Grad gehoben: Thomas Nuber klettert Schwerkraft (9-). Überall ist die Absicherung mit Bohrhaken nahezu Standard geworden, Kletterer können sorglos stürzen und sich auf die Bewegungsschwierigkeiten konzentrieren.

Wiederum ein Jahr später, 1983, strebt das Geschehen an den Felsen zwischen Kelheim und Riedenburg seinem Höhepunkt entgegen: Der 20jährige Engländer Jerry Moffatt besucht das Frankenjura und bügelt dort samt und sonders alle Routen mit Rang und Namen nieder, onsight oder in wenigen Versuchen. Die fränkischen Mover bringen den Mund nicht mehr zu. Schließlich schleppt Wolfgang Güllich Jerry an ein altes Flipper-Fietz-Problem am Schellneckkopf, das Jerry dann an seine Grenzen bringt: Knapp vor seiner Rückreise kann er sturzfrei durch das Face navigieren. Erstmals wird damit der Grad 10-/8a+ erreicht. Damit ist das Face 1983 Europas und vielleicht sogar der Welt schwierigste Kletterroute (1979 schon kann Tony Yaniro in den USA Grand Illusion (5.13 b/c = 8a/+) bezwingen). Eine Variante vom Weg der Jugend an der Schellneckwand (wir erinnern uns: 1961, 6 a2) klettert Jerry Moffatt auch noch „by the way“ und tauft das Ergebnis New Wave (9). Old-School-Klettern (mit technischen Hiflsmitteln) ist vorbei. Weitere Wege - große Klassiker wenig später - kommen im gleichen Jahr noch hinzu, so z. B. Conan (9-) von Hans Brunner, Mr. Olympia (9-), Rocky Horror Picture Show (9), Nummer 1 (9) und das Luftschloß (9) von Sepp Gschwendtner. Wolfgang Güllich eröffnet Mr. Magnesia (9+) an der Schellneckwand und wirft dafür anfangs auch den unteren 10. Grad aus, aber wahrscheinlich schraubt er sich in der Tour einfach schnurgerade hoch, die Kraft dazu hat er.

Im darauffolgenden Jahr, 1984, kann Wolfgang aber nochmals entscheidend nachlegen und das Face in den Schatten stellen: Ende des Jahres gelingt Wolfgang die erste Begehung von Kanal im Rücken (10) an der Kastlwand, wiederum ein Flipper-Fietz-Problem. Zu diesem Zeitpunkt ist der Kanal definitiv die weltweit schwerste Route, nirgendwo findet sich Härteres. Das Altmühltal thront einsam an der Spitze.

Sepp Gschwendtner ist in diesem Jahr auch fit wie nie, er klettert Zombie (9+/10-) an der Quaderwand. Erstmals lässt auch ein junger Münchner Shootingstar aufhorchen – Michael Kieß, 18 Jahre alt, holt sich die erste Begehung vom Tag der offenen Tür (9+) an der Schellneckwand. Diese wird im Laufe des Jahres 1984 von einem dichten Routennetz überzogen, wie auch die Felsen bei Prunn und Nußhausen – zahllose Klassiker datieren in dieses Jahr.

1985 reicht Wolfgang Güllich den Staffelstab der schwersten Kletterroute gleich weiter nach Australien, er hinterlässt dort Punks in the gym (10+/8b+), das Altmühltal ist schon wieder entthront. Dort findet jedoch eine Konsolidierung auf hohem Niveau statt, Hans Brunner eröffnet noch im selben Jahr Zenith (10-) am Schellneck, 1986 dann Mr. Bad Guy (10-) in Prunn und Target (10-/10) an der Kastlwand. Auch Sepp Gschwendtner kann 1986 nochmals eine Schippe drauflegen, mit 42 Jahren sichert er sich eine Wiederholung des Face und die erste Begehung von No pain, no gain (10-).

Das Altmühltal ist zu dieser Zeit eine international renommierte Adresse, viele berühmte Namen machen ihre Aufwartung, unter ihnen Stefan Glowacz, Beat Kammerlander, Gerhard Hörhager, Didier Raboutou, Ben Moon, Heinz Zak, Eric Talmadge – eine Who-is-who-Liste europäischer Spitzenkletterer. 1986 wagt sich Wolfgang Güllich – Abschluss dieser goldenen Jahre – noch an eine komplett selbst abzusichernde Linie am Schellneckkopf, das Ergebnis ist R.I.P. (9). Er betont damit den aus dem amerikanischen Freiklettern kommenden Gedanken des „Don´t leave footsteps“ (20 Jahre später im Zuge der Plaisir-Kletterbewegung völlig vergessen…). 1986 ist das letzte große Jahr des goldenen Altmühltal-Zeitalters. Die ganz großen, zeitlosen Sportkletter-Klassiker sind eröffnet. 1986 ereignet sich auch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, andere Gedanken und Sorgen drängen sich vor, das Klettern scheint nebensächlicher zu werden.


* Sepp Gschwendtner *

Sepp Gschwendtner ist eine der dominierenden Persönlichkeit der späten 70er und 80er Jahre im jungen deutschen Sportklettern. Im Altmühltal hat er Kurt Alberts Idee des Rotpunkt-Kletterns konsequent aufgenommen und auf breiter Ebene etabliert.

Sepp wurde 1944 geboren, fing im Alter von etwa 15 Jahren zu klettern an und war neben alpinem Klettern schon früh in Buchenhain, dem Trainings- und Bouldergebiet der Münchner, aktiv. Eine Profi-Karriere als Autorennfahrer verdrängte das Klettern jedoch. Als Sepp um das Jahr 1975 herum am Fels „nur“ etwas Unterarmtraining machen wollte, um im Rennauto mehr Kraft für die Lenkung ohne Servounterstützung zu haben, musste er feststellen, dass beim Klettern inzwischen ein anderer Wind wehte. Es wurde sportlicher geklettert als noch in den 60er Jahren, ohne Hakenbenutzung. Sepp fand die Rotpunkt-Idee auf der Stelle attraktiv und hängte die Rennfahrerkarriere prompt an den Nagel. Am Anfang kümmerte sich Sepp vorwiegend um freie Begehungen alter Wege. Die Form stieg, ein vorläufiger Höhepunkt war 1980 in Prunn die erste RP-Begehung eines alten Flipper-Fietz-Problems, die Oberbayerische Analyse (8+). Beim Konsteiner Klettertreffen 1981 sah Sepp dann, um wie viel besser andere waren, der Ami John Bachar etwa oder Ron Fawcett aus England. Das hatte inspirierenden Einfluss auf Sepps sportlichen Ehrgeiz, noch im gleichen Jahr gelangen ihm der Eisenfinger (9/9+) in Konstein und das Münchner Dach (9) in Prunn. John Bachars Chasin´ the Trane (9) am Krottenseer Turm war damit gekontert. Sepp konnte danach im Altmühltal zahlreiche neue Routen erstbegehen – heute allesamt Klassiker. Die vielen ungekletterten Wandbereiche zogen ihn an, auch die Stimmung im Tal sagte ihm zu. Die Schwierigkeitsschraube zog er dabei immer mehr an, bis ihm schließlich 1984 kurz vor seinem 40. Geburtstag Zombie (9+/10-) an der Quaderwand gelang, eine der ersten deutschen Routen in diesem Grad. Sepp tüftelte gerne und ausdauernd an seinen Problemen herum, nach langem Probieren gelang ihm dann 1986 eine Wiederholung des Face (10-) am Schellneckkopf, schwierigkeitsmäßig die Krönung seiner Kletterlaufbahn.

Der charismatische Sepp war mit seinem roten Porsche immer viel unterwegs in der Kletterwelt, nicht zuletzt deshalb war er auch Entwicklungshelfer in vielen anderen Klettergebieten: Er hob Kochel aus der Taufe, hinterließ seine Spuren in Karlstein und holte sich die ersten RP-Begehungen von Maud (9) in der Fränkischen Schweiz und vom Idiotenüberhang (10-) im Oberen Donautal bei Sigmaringen.

1986 begann Sepp mit dem Gleitschirmfliegen und war sofort derart mit dem Flugvirus infiziert, dass die Kletterkarriere vernachlässigt wurde. Sepp war Zeit seines Lebens eine sportive Persönlichkeit, was sich bald in dieser neuen Sportart niederschlug. Auch hier gelangen ihm zahlreiche Erfolge, er wurde zu einem Pionier des Gleitschirmfliegens in Deutschland und Europa.

Sepp schätzt und besucht das Altmühltal bis heute, ob als Gleitschirmpilot oder als Radfahrer.


VII 1987 - 1990 Ruhe nach dem Sturm

Spätestens seit Wolfgang Güllich 1987 die Grenze des Kletterbaren auf 11- anhebt (Wallstreet, Krottenseer Turm), scheint die komplette Szene mit ihrer gesamten Energie offenbar in die Fränkische Schweiz umgezogen zu sein. Die Chronik von Altmühltal und Donaudurchbruch gibt 1987 und 1988 partout keinen Eintrag einer Erstbegehung her.

1988 beginne ich, Autor dieser Zeilen, meinen Zivildienst in Kelheim und bin erstaunt, kaum Kletterer an den Felsen anzutreffen, es ist nicht leicht, Kletterpartner zu finden. Frank Eissler aus Kelheim ist in dieser Zeit ein Aktivposten, er ist kein Vorstiegsheld, aber er bouldert gut, 1988 wagt er sich am Schulerloch durch E. praecox, ein markanter und gefährlicher Highball. Gegen Ende der 80er beweist auch Jürgen Krieger aus Regensburg ein gutes Auge für Neutouren, er klettert am Höhlenkopf den Schwarzen Krauser (9), Hans Brunner am gleichen Fels Atemlos (9-). Ingo Klemm, ebenfalls Zivildienstleistender, fit und mit viel Zeit ausgestattet, fängt damals auch das Bohren an und hinterlässt Joy Division (9-) im Donaudurchbruch. Eine besondere Leistung vollbringt 1989 der Münchner Günter Stempfel in Prunn: Nachdem er – so die Überlieferung – seilgesichert am Traumschiff (9) scheitert, bindet er sich aus und klettert die Tour kurzentschlossen solo.

Für mich hat ein Jahr ausdauernder Bewegung an den Felsen um Kelheim deutlich positiven Einfluss auf mein Leistungsvermögen als Kletterer, zudem schärft sich mein Blick für ungekletterte Wandbereiche. Als Folge gelingt mir 1989 im Donaudurchbruch erst Fitzcarraldo (8-) an der Langen Wand, dann - Ende Oktober - Die unerträgliche Gewichtigkeit des Seils (9). Der Zeitaufwand für das Klettern und die Euphorie wegen dieser Erfolge sind derart vereinnahmend, dass mir die politischen Entwicklungen des Herbstes 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer fast entgehen.


* Hans Brunner *

Hans Brunner (Jahrgang 1961, geboren in Kelheim) war neben Wolfgang Güllich und Sepp Gschwendtner die prägende Figur im Klettergeschehen des Altmühltales der 80er Jahre. Sehr viele seiner zahllosen Erstbegehungen wuchsen früh zu Evergreens heran und werden bis heute gern gemacht: Warzenschwein (8), Conan (9-), Langes Elend (9-), Crazy Banana (9+/10-), Mr. Bad Guy (10-), Brennpunkt (9+/10-), Target (10-), Zenith (10-) und nicht zuletzt Total Recall (10) sind zeitlose Marksteine der regionalen Klettergeschichte. Hans gehörte in den 80er Jahren sicher zu den leistungsfähigsten deutschen Kletterern, der 10. Grad besaß damals noch den Nimbus der Grenze des Menschenmöglichen. Zu seinen besten Zeiten hatte er sogar einen Werbevertrag für Kletterschuhe! Typisch für ihn war auch seine Bewertung „9++“, die er anfangs für Crazy Banana und den Brennpunkt abgab. Die ersten Wiederholer korrigierten die Linien dann jeweils auf 9+/10-. Bezeichnend für Hans´ Leistungsfähigkeit und Neigung zu Understatement sind auch seine Worte nach seiner Begehung des direkten Fluchtweges: „Was, das ist für Euch schon 10-?“ Unschätzbare kulturelle Verdienste erwarb sich Hans mit der Herausgabe seines Kletterführers „Südlicher Frankenjura“, lange vor Panico-Zeiten. Begann er 1982 mit einer Loseblattausgabe im DIN A4-Format, so wurde sein Werk mit jeder Ausgabe etwas umfangreicher; 1999 erschien die letzte Auflage seines Buches, auf dem Titel ein tolles Ballenberger-Foto aus dem Face, damals wohl das beste Cover eines deutschsprachigen Kletterführers. Hans wohnt heute in Abensberg, klettert nur noch sporadisch, verfolgt aber nach wie vor die Entwicklung des hiesigen Kletterns und geht hin und wieder zum Surfen.


VIII 1991– 2004 Steigerung bis zum unteren 11. Grad – Klassiker 2

Während sich die deutsche Politik nach der Wiedervereinigung 1990 mit dem Aufschwung Ost in der Praxis abmühen muss, beweist Wolfgang Güllich einmal mehr seine Ausnahmestellung und klettert 1991 am Waldkopf im Krottenseer Forst weltweit als Erster den glatten 11. Grad: In Action directe (11) kulminiert seine Biographie und die Geschichte des Sportkletterns.

Im Altmühltal ist man Anfang der 90er noch weit von diesem Niveau entfernt, die schwerste Neuroute 1991 ist die Reminiszenz (9+) an der Schellneckwand. In dieses Jahr fallen auch die ersten „modernen“ Routen im Essinger Gebiet, Homöostase (8-) und Die Jähzornige Laus (8). Die stürmische Entwicklung Mitte der 80er Jahre hätte sicher auch hier stattgefunden, aber nach dem Bau des Main-Donau-Kanals wurde die geschwungene Holzbrücke als ideales Entree zum Essinger Felsuniversum erst später, 1987, fertiggestellt. Als ich mit dem Auge des erschließungswilligen Kletterers zwei, drei Jahre darauf erstmals in den Essinger Wald schreite, finden sich außer den beschriebenen zwei Dickert-Touren nur ein, zwei vernachlässigte Projekte von Hans Brunner und sonst... nichts.

Doch noch vor der Erschließung des Essinger Archipels wendet sich eine inzwischen herangewachsene Regensburger Kletterszene den ebenfalls bislang weitgehend unberührten Felsbereichen um die Kastlhöhle zu. Zu den umtriebigsten Erstbegehern dieser Szene gehören Fritz Amann, Mathias Schnell und meine Person. In den Jahren zwischen 1992 und 1996 entstehen großzügige, logische, ins Auge springende Linien, die schon kurz darauf Klassikerstatus erreichen: Der Bär schlägt zurück (9), Zauberflöte (9-/9), Phantom (9-) und Der kleine Prinz (10- ) sind wohl die am häufigsten wiederholten Wege aus dieser Zeit. Die Kastlhöhle wird umgehend zum attraktivsten Sommerkletterziel des Altmühtales.

Fritz Amann kümmert sich auch um die Sanierung alter Haken, er hospitiert persönlich bei Oskar Bühler, fertigt dessen rostfreien Haken in Eigenregie und etabliert ihn auf breiter Ebene in der Region. Fritz leistet unermüdlich Überzeugungsarbeit und schafft somit die Basis des hohen, bis heute maßgeblichen Niveaus bei der Hakensetzung.

Die Neulandsucher ziehen weiter und beginnen ab 1994– endlich! - die Schätze der Wunderkiste Essing zu heben. Die Hauptfelsen May- und Klausfels ziehen etwa zehn Jahre lang die meiste Aufmerksamkeit auf sich. An beiden Felsen wird eine bislang im Altmühltal selten gefragte Fertigkeit abgefragt – überhängendes Klettern. Die Devise der Stunde heißt: Weg von der Wade, hin zum Bizeps! Wiederum entstehen Routen, die in Kürze hohen Zuspruch erhalten: Ohne Strom geht nichts (9), Waterworld (9+/10-), Abstoß (9-/9), Teamchef (9+). Am Klausfels entstehen die ersten neuen Routen zur Zeit der Fußball-Europameisterschaft 1996, die Deutschland unter Übungsleiter Berti Vogts gewinnen kann. Das Motto der Routennamen wird dadurch geprägt.

Altmeister Hans Brunner sorgt derweil dafür, dass plattiges, senkrechtes Klettern en vogue bleibt. Nach Familiengründung waren seine Highlights zwischenzeitlich etwas spärlicher geworden – 1990 Crazy Banana (9+/10-), 1992 Brennpunkt (9+/10-) –, er zieht aber noch ein As aus dem Ärmel: 1996 klettert er die Hammerlinie Total Recall (10) an der Schellneckwand, zwölf Jahre nach Kanal im Rücken erst der zweite glatte Zehner im Tal. Im Jahr darauf, 1997, wird diese magische Grenze aber gleich mehrfach durchbrochen: Erst schafft Michi Meisl aus München nach zahllosen Versuchen Paranoia (10/10+) am Schellneck, kurz danach gelingen Michi Kieß, dem unbestritten stärksten Kletterer der 90er Jahre, am gleichen Fels der Größenwahn (10+) und Sudden death (10+) am Klausfels.

War die Kletterei in Altmühltal und Donaudurchbruch in all den beschriebenen Jahren im Großen und Ganzen (trotz kleinerer, zwischenzeitlicher Sperrungsstreitereien) frei und unreglementiert möglich gewesen, stellt 1998 die Verabschiedung der Kletterkonzeption für beide Täler eine markante Zäsur dar. Es müssen schmerzhafte Kompromisse eingegangen werden, weite Bereiche werden dem Klettersport durch die Konzeption entzogen, seit Jahrzehnte besuchte Felsen müssen fortan gemieden werden. Die größten Verluste stellen im Altmühltal Höhlenkopf und Schellneckpfeiler dar, in der Weltenburger Enge bleibt gar nur ein vergleichsweise kümmerlicher Restbestand an Felsen übrig. Künftig müssen alle neuen Kletterrouten im Rahmen einer Begehung mit der Unteren Naturschutzbehörde vorab besprochen werden. Hans Brunner packt 1999 in die 4. (und letzte) Auflage seines Kletterführers all die neuen Regelungen hinein und beschreibt alles, was noch legal erstiegen werden darf.

Im Donaudurchbruch ist danach eine verstärkte Erschließertätigkeit im Gange. Erst kommt das moderne, bohrhakengesicherte Sportklettern an der Römerwand an. Zuvorderst ist hier Tom Lindner aus Regensburg tätig, edle Mehrseillängenrouten wie etwa Air Liquide (8/8+), Zwischen Licht und Schatten (8) und Metalheadz (9) heißen die attraktivsten seiner Kreationen. Dann wechselt die Aufmerksamkeit auf die andere Seite, zur Bischofsbucht. Seit der Kletterkonzeption darf nur noch von unten eingestiegen werden, Abseilen von den Felsköpfen ist verboten worden, dadurch haben Neulandsucher andere, geschärfte Blicke auf noch freie Wandzonen entwickelt. Formensprache (7+, Lindner 2001), Welcome to Motastan (9/9+, Baumeister 2001), Minefield (9, Grundgeiger 2004) und Marathon (7+, Eßer 2004) sind schon unmittelbar nach ihrer Erstbegehung bei Wiederholern begehrt und beliebt.

Begehrt und beliebt ist spätestens seit den 90er Jahren auch die überhängende Riesengrotte der Friedrichsruh hoch über Prunn – nicht zuletzt die in diesen Jahren aus dem Boden sprießenden Kletterhallen lassen die Nachfrage nach derartigen Freiluft-Derivaten anschwellen. Den glatten zehnten Grad an der Friedrichsruh erreicht Michi Kieß anno 2000 mit seinem Kunstwerk. Ein Projekt, von Karl Kaindl aus Freising Mitte der 90er Jahre visionär in den allersteilsten Teil der „Ruh“ gezimmert, wird von Markus Windisch aus Amberg übernommen und 2001 geklettert: Intifada (11-). Wieder kann dadurch der Schwierigkeitslevel im Tal deutlich angehoben werden. Anderswo wird im selben Jahr aber noch deutlich härter gezogen, Chris Sharma schafft Realization (9a+/11+) im französischen Ceüse. Auf politischer Ebene stellen die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York eine markante Zäsur dar, sie treffen die USA im innersten Kern.

Onsight-Klettern ist keine Disziplin, in der die Latte in Altmühl- oder benachbartem Donautal besonders hoch liegen würde, der Stil der Kletterei, die häufige Einzelstellenbetonung, die technische Komponente des Kletterns lassen Erfolgserlebnisse über dem 8. Grad nur selten zu. Umso eindrücklicher ist die Leistung von Marietta Uhden im Jahr 2002: Sie klettert Der kleine Prinz (10-) an der Kastlhöhle onsight, eine Demonstration ihres herausragenden Kletterkönnens.

Nach der Jahrtausendwende wird im Essinger Wald genauer geforscht, es zeigt sich, dass überall am Hang, wo man auch hinkommt, Felsen unterschiedlichster Höhe und Charakteristik aus dem Boden wachsen. 2004 wird als letztes wirklich großes Massiv im Altmühltal die Vergessene Welt erschlossen, noch einmal entstehen Kletterwege, die ab dem Tag der Erstbegehung von Wiederholern gelobt und weiterempfohlen werden. Uferlos (9-/9), von Hans Brunner getauft, aber als Projekt aufgegeben, darf ich als Erster klettern, zweifellos ein Highlight. Durch Felsqualität und Linienführung ragt auch Die innere Sicherheit (8) heraus.

Die Generation der Haupterschließer der 90er und frühen 00er Jahre wird zwar auch weiterhin kreativ sein, es zeigt sich aber doch ein schleichendes Erlahmen der Schaffenskraft, hervorgerufen durch eine Kombination aus Familiengründung, beruflicher Beanspruchung und nicht zuletzt Alterungsprozessen. Beispielhaft wird dies am Apostelbalkon bei Essing: Ich richte dort nach langem Zögern eine logische, überhängende, mit einem Minimum an Oberflächenstrukturen aufwartende Linie ein, die richtig schwer zu werden verspricht. Erste Versuche enden frustrierend. Um´s kurz zu machen: Ich reiche das Projekt an Markus Windisch weiter, der erneut Entwicklungshilfe leistet, 2003 das Ding klettert und es Das Wunder von Essing (11-) nennt. Zum zweiten Mal wird damit im Altmühltal der untere elfte Grad erreicht und damit gegen Ende der zweiten Klassiker-Phase ein würdiger Markstein geschaffen.

IX 2005 – 2014 Suche nach letzten unerschlossenen Felsen - Plaisirbewegung - Klettern als Breitensport

Nach wie vor finden sich versteckte Felsen, an denen sich die Kreativität und Arbeitswut der Neulandsucher austoben. Die Qualität der entstehenden Kletterziele ist fast durchgehend hervorragend, es kommen auch sehr schöne, empfehlenswerte Kletterwege dabei heraus, die allerdings keine weit reichende, überregionale Strahlkraft mehr zu entfalten vermögen. Im Jahr 2005, Angela Merkel wird zur Bundeskanzlerin gewählt, machen sich Tom Lindner und Ingo Klemm über eine Felsturm unweit von Heidenstein her, sie nennen ihn Blauen Klaus. 2006 kümmere ich mich um den Schwedenfels, zwischen 7. und 9. Grad entstehen logische Linien in bestem Fels. Ab dem gleichen Jahr sorgt auch der Schlossfels nach längerer Zeit wieder für Aufsehen: Altmühltal-Dauergast Stevie Anzinger bohrt und klettert Air (9) und setzt damit eine Schlossfels-Nacherschließung in Gang, die weitere De-luxe-Routen hervorbringt: 2007 gelingt mir Guillotine (9-/9), 2008 Hein Eßer Akopalüze (8) und 2013 richtet der Newcomer Johannes „Moejoe“ Rieger aus Regensburg seinen Tagtraum (7+) ein.

Die Absicherung dieser Kletterwege ist handwerklich seriös ausgeführt, die Haken stecken in komfortablen Abständen – Merkmale der Plaisir-Kletterbewegung, die ihre Wurzeln in der Schweiz in den 90er Jahren hat. Die dazu passenden, typischen Plaisir-Grade 6 und 7 werden aber weniger am Schlossfels, sondern erst 2009 am Essinger Wildwechsel-Fels voll getroffen, den eine Combo um Martin Gritsch aus Donaustauf erschließt. Plaisir-Ansprüche werden im Altmühltal oder Donaudurchbruch ansonsten selten bedient, neu entstehende Routen in Jachenhausen und am Essinger Märchenturm schaffen jedoch etwas Abhilfe. An beiden Felsen hatte Altmeister Hans Brunner schon früh erste Wege vorgelegt, aber erst die vollflächige Resterschließung von 2006 bis 2011 hebt die Anziehungskraft dieser Ziele. Am Märchenturm zeigt insbesondere Christian Rester aus Freising großen Ehrgeiz bei der Kreation neuer Linien. Klettern ist inzwischen zum Breitensport geworden.

Die Jahre vor und nach 2010 sind weniger gezeichnet von außerordentlichen sportlichen Höhepunkten, hin und wieder ist zwar der eine oder andere neue Zehner zu vermelden, ein neues Niveau wird dabei aber nicht erreicht. Erschlossen werden in dieser Zeit der lange Zeit unentdeckte Fels X unweit der letzten Häuser von Essing, der Cavolution-Sektor neben dem Klausfels, der Apostelbalkon, der Grantler und das Penthouse. Ein Highlight ragt aus dem Strom der Zeit jedoch heraus: Dem jungen Landshuter Robert Heinrich gelingt 2008 mit Gegen die Wand (10+) die mit Abstand schwerste Tour im Donaudurchbruch durch kompromisslos steiles und abweisendes Gemäuer in der Bischofsbucht. Die Linie geht auf den Regensburger Studenten Tobi Grundgeiger zurück. Zum Vergleich: 2008 klettert Chris Sharma als global schwerste Route Jumbo Love (9b = 11+/12-) in den USA.

In Kapitel IV „Technoklettern“ wird von der 1. Begehung des Fiechtldaches an der Kastlwand-Nordwand berichtet, eines horizontalen, spektakulären Rissdaches. Was damals – gegen Ende der 60er Jahre – undenkbar war, wird 40 Jahre später realisiert: Markus Windisch gelingt 2009 eine freie Begehung des Daches, er nennt den Weg nun Eisenzeit (10). Seine Bewegungskreativität, gepaart mit einer angeborenen und in unzähligen Bouldern geschärften Maximalkraft sind der Schlüssel zum Erfolg. Die Nordwand der Kastlwand, in allen Jahren wenig besucht, erlebt danach eine kleine Renaissance: Nach Bala (10-) von Uli Renger aus Hannover (2011) schiebt Markus Windisch 2012 Sky Rodeo (10+) nach. Nochmals ein Vergleich zur Einordnung: Im selben Jahr hangelt sich Adam Ondra in Norwegen durch Change (9b+/12-). Weit entfernt vom hiesigen Klettergeschehen ereignet sich in Japan 2011 die Reaktorkatastrophe von Fukushima, es zeigt sich, dass jede Technik – und sei sie auch noch so ausgefeilt – nie absolute Sicherheit versprechen kann. Deutschland beschließt kurz darauf den Ausstieg aus der Atomkraft.

2009 sind seit Hans Brunners letztem Kletterführer 10 Jahre vergangen, die Szene lechzt nach Aktualisierung. Bernd Ullmann aus München und ich treten etwa zeitgleich mit gebündelten Wissen und der Idee eines neuen Führers an den Panico-Verlag heran, der daraus ein komplett neues Buch schmiedet. Mit dem „Südlichen Frankenjura“ (Ullmann/Zieglmeier) ist der Status quo des Kletterns in der Region mit neuem Layout und topaktuellem Informationsstand beschrieben. Die Nachfrage ist derart groß, dass schon 2013 eine zweite, deutlich erweiterte Auflage gedruckt werden muss.

2014 ist ein weithin sichtbarer, stumpfer Pfeiler am Schlossfels, der einst von Wolfgang Güllich mit ersten Bolts versehen worden war, noch immer ungeklettert. Dieses Projekt ist sagenumwoben, es wird gemunkelt, es sei sicher schwerer als der Ghettoblaster, den Güllich 1986 immerhin mit 10+ bewertet hatte. Ich mache mich an die Renovierung dieser grandiosen Kingline des Altmühltales, einige Haken müssen nachgerüstet werden. Bei den Freikletterbemühungen scheitere ich aber auf halbem Weg an einer mauerglatten Wandstelle, Ernüchterung macht sich breit, ich kann mir partout keine Bewegungslösung vorstellen. Im gleichen Jahr lässt ein junges, hochgewachsenes Regensburger Bürschchen mit einer Neutour im 10. Grad am Roten Fels bei Kallmünz aufhorchen. Ist das nur eine Eintagsfliege? Oder steht womöglich (endlich!) ein Generationenwechsel bevor?

X 2015 – 2022 New Kids on the block - Der glatte 11. Grad - Resterschließung

Zwei Jahre später, 2016, ist die komplette Güllich-Kante rotpunkt geklettert, vom „jungen, hochgewachsenen Bürschchen“ Jonas Häring, der, herangereift zu einem kompletten und vielseitigen Kletterer, mit allen schweren Routen der Region kurzen Prozess macht. Es zeigt sich, dass die Befürchtung (oder Hoffnung?) der älteren Generation, nach ihnen könne wohl nicht mehr viel kommen, völlig unbegründet war. Jonas Häring wächst zum leistungsfähigsten Kletterer um Regensburg heran, die Güllich-Kante war erst der Anfang. Mit selten gesehener Hingabe und pausenlosem Furor macht er sich über alle offenen Projekte der Region her. Herausragende neue Routen kommen dabei heraus, u. a. World of Pain (2019, 11-/11, altes Fabian-Lang-Projekt), Cäsarenwahn (2019, 11-, altes Baumeister-Projekt), Theory of Mind (2019, 10+, altes Meisl-Projekt), Fluidaltheorie (2017, 10, altes Eßer-Projekt), dazu ein ganzer Schwung „leichterer“ Linien.

Als Wiederholer schwerster Vertikalkunst fällt auch Stefan Holzapfel auf, dem filigranen Techniker widersteht kaum eine der Top-100-Linien. Er hinterlässt auch einige Erstbegehungen, herausragend ist sicher Mittendrin statt nur dabei (10-/10) am Schellneckkopf, ein altes Alex-Huber-Projekt. Alex meint, es sei gewiss nicht die schlechteste Wahl, sich zwischen Wolfgang Güllich zur Linken (Catch 22) und Jerry Moffatt zur Rechten (Face) zu verewigen.

Ein weiterer Dauergast an den Altmühltal- und Donaudurchbruch-Wänden ist auch Simon Bauer, ein aus Dingolfing stammender Regensburger Student. Kaum einer der harten Prüfsteine ist ihm zu schwer, die Klassiker der 80er und 90er Jahre scheinen ihn besonders anzuziehen. Bemerkenswert an ihm ist darüber hinaus, dass er sich nicht zu schade ist, selbstlos Sanierungsaufgaben auch in leichteren Kletterwegen zu übernehmen.

Der 10. Grad verliert seinen Nimbus, wird „business as usual“. Die mythische Dimension, die der 10. Grad in den 80er Jahren hatte, ist verblasst. 2019 wird schließlich – lang hat´s gedauert – auch der glatte 11. Grad erreicht: Michi Bücker, ein an medialer Aufmerksamkeit nicht interessierter, aber bärenstarker, junger Kletterer aus Regensburg, sonst still in den Tiefen des Bayerischen Waldes unter Granitbouldern liegend, packt das Seil aus. Er nimmt sich eines surreal erscheinenden Markus-Windisch-Projektes in der Kastlhöhle an, einer irre überhängenden Linie, die einer umgekehrten Riesentreppe gleicht. Das Ergebnis heißt Hall of Fame (11), kaum ein Name könnte treffender sein, Michi Bücker geht mit dieser Leistung in die Altmühltal-Ruhmeshalle ein. Dass er richtig gut ist, zeigt er im gleichen Jahr nochmals mit Eagle Eye (11-) an der Schellneckwand. Im globalen Ranking hat Adam Ondra in Norwegen zwei Jahre zuvor, 2017, Silence mit 9c (12) bewertet und damit das Schwierigkeitslevel auf eine neue Maximalhöhe gehoben.

Die Corona-Pandemie in den Jahren 2020/21 erzeugt eine ganz neue Situation an den heimischen Felsen: Die Leute können nicht verreisen, monatelang nicht einmal die Grenzen überschreiten, die Kletterhallen sind geschlossen, alle sitzen zuhause im Homeoffice fest. Nachdem aber Klettern im Freien nicht explizit verboten ist, kommt es überall an den Felsen zu nie gekanntem Andrang, Parkplätze und Einstiege sind überfüllt. Die durch Kurzarbeit oder überraschend freie Arbeitseinteilung gewonnene Zeit wird auch in Erstbegehungen investiert. Insbesondere an den Essinger Felsen steigt die Menge an neuem Kletterstoff an, die letzten freien Meter werden mit Haken beglückt. Bemerkenswert ist die Erschließung einer lange Jahre völlig ignorierten Wand, der Ostseite des Märchenturms, hier entstehen Kletterwege bis zum unteren 10. Grad.

2022 werden die Nerven aller zivilisierten Weltbürger, noch zerrüttet von der endlosen Corona-Pandemie, auf eine kaum glaubliche Weise zusätzlich strapaziert: Wladimir Putin bricht mitten in Europa einen Angriffskrieg vom Zaun, überfällt die Ukraine und missachtet dabei alle Regeln zivilisierten Zusammenlebens. Jeder Mensch wünscht sich nur eins: Frieden. Ist es angemessen, angesichts der täglichen, absurden Nachrichten an den Fels zu gehen? Jonas Häring setzt mit Sueño de paz (11) am Bärenkopf ein Zeichen, der Traum vom Frieden eint alle. Jonas wird spätestens mit dieser Route zur prägenden Gestalt seiner Klettergeneration.

XI Ausblick

Die junge Generation, die aktuell die Anziehungskraft von Altmühltal und Donaudurchbruch schätzt, ist in der leistungsfördernden Infrastruktur der Kletterhallen aufgewachsen und bringt oft auch Wettkampferfahrung mit. Trotzdem drängt diese Generation nach draußen, opfert jede frei Minute für´s Klettern an der frischen Luft, schult sich an harten Bouldern und krallt sich in die zahllosen schweren und schwersten Routen. Zugleich sammeln die herangewachsenen Kletterer Sympathiepunkte. Sie helfen bei Umweltbaustellen mit und begegnen den „alten“ Routen, den Leistungsnachweisen früherer Kletterer, mit Wertschätzung. Oft freuen sie sich, in diesem geschichtsträchtigen Gebiet unterwegs sein zu dürfen.

Und deshalb muss man sich auch keine Sorgen über den Fortbestand der Klettergebiete Altmühltal und Donaudurchbruch machen, bislang war noch jede Generation in der Lage, dort neue Herausforderungen zu finden. Auch wenn mit jeder neu hinzukommenden Route die Räume enger werden, warten doch noch ungekletterte Projekte auf ihre Entdeckung. Entscheidend ist - gestern, heute und morgen-, dass der einzigartige Naturraum, in dem die Felsen stehen, unversehrt bleibt, dass der Wert der Naturschutzgebiete geachtet wird und dass dem Jura-Erlebnisraum nicht mit Konsumgrundhaltung begegnet wird.

Quellen:

  • Kelheimer Klettergarten, Ein Kletterführer für das Donau- und Altmühltal, Hans Tomandl, 2. Auflage 1961
  • Chronik über die Entwicklung des Klettersports im unteren Altmühltal und Donaudurchbruch (Kelheimer Klettergarten) bis Juli 1998 von Hans Tomandl, ca. 1998
  • Persönliches Gespräch mit Hans Tomandl, 4.1.2006
  • Südlicher Frankenjura, Hans-Dieter Brunner, 3. Auflage 1992 u. 4. Auflage 1999
  • Fight Gravity, Klettern im Frankenjura, Kurt Albert, 2005
  • Persönliche Informationen von Bruno Wimmer, Rainer Dickert, Sepp Gschwendtner, Hans Brunner



 

 

 

Letzte Änderung: 2023-12-29 (12 Monate)

Schönhofen mal anders – Unsere kleine „Schönhofensinfonie“ in 4 Sätzen

von Simon Bauer

„Wie soll ich das denn klippen?

Das gibts doch gar nicht!“. Mit rechts habe ich ein kleines Leistenloch in der Hand. Eigentlich wäre der Griff gar nicht so schlecht. Das Problem ist aber, dass ich im weiteren Verlauf die Crux der Route vermute und ich den Haken, der mich bei dem Abschlussboulder sichern soll, noch nicht einhängen kann. „Nati jetzt musst du mal gut aufpassen und eng sichern!“ rufe ich runter und hoffe, dass ich trotz des starken Windes, der gerade um mich herumpfeift, Gehör finde. Ein letztes Mal putze ich mir, voll unter Konzentration nicht abzurutschen, meine nassen Kletterschuhspitzen an der Hose ab. Das Band auf dem ich gerade stehe, ist voller Schnee. Noch ein bisschen Chalk auf die Schuhe und los gehts. Ich trete hoch an und ziehe das Leistenloch mit rechts bis zum Anschlag durch. Die fast schon tauben Finger meiner linken Hand ertasten weit oben eine kleine Unebenheit. „Jetzt nur noch festhalten“ denk ich mir. Doch aufgrund meiner gefrorenen Finger schätze ich die Unebenheit wohl falsch ein. „Ratsch“ rutsche ich ab und hänge baumelnd im Seil knapp über dem „Schnee-“Band. Die Leiste war wohl doch etwas schlechter als gedacht. „Des muas ich mir jetzt doch mal gescheit anschauen“ rufe ich runter zu der zuverlässigsten Sicherin der Welt. Beim „gescheiten Anschauen“ merke ich gleich, dass ich so ziemlich alles falsch gemacht habe, was man so falsch machen kann. „Lass ab, des probier ich gleich nochmal“. Beim zweiten Versuch klappt der Boulder am Ausstieg und die Route ist geschafft.
16 Routen haben wir bis jetzt hinter uns gebracht. Es fehlen also nur noch die restlichen 51. Klingt machbar.

Genau 67 Routen wollen wir klettern. 15 an der „Eisenbahnerwand“, 13 am „Kletterblock“, 11 an der „Schwarzen Wand“ und zu guter Letzt noch 26 Routen an der „Labertalwand“.

Die Idee:

Nach einem tollen Klettertag am großen Keilstein im Altmühltal sitzen wir abends nach dem Essen noch am Tisch und planen unseren morgigen Klettertag. Geplant wäre eigentlich an die Kastlwand zu fahren und dort zusammen mit dem Gebietsbetreuer Eberhard Zieglmeier eine große „Wackel-Schuppe“ aus der Wand zu werfen. Dem Eberhard ist es an dem Tag allerdings zu kalt (Es ist leichter Schneefall, kalte Temperaturen und starker Wind sind angesagt). Also muss ein neuer Plan her.
Nati und ich beschließen nach Schönhofen zu fahren. Diesmal allerdings nicht nur, um dort einen entspannten Klettertag zu verbringen. Wir wollen zusammen alle Routen an einem Tag und möglichst ohne Pausen durchsteigen. „Okay, dann klettere ich die „Gesamtsituation“ in Verbindung mit „Die Ratten kommen aus den Löchern“. Dafür bekommst du „Strada de Sole“ und den „Presssack“ mitsamt „Schlachtplatte“ (Nati ist eigentlich Vegetarierin). Bei solch einem „Team-Ascent“ ist es wichtig die jeweiligen Stärken und Schwächen des Partners genau zu kennen und diese in die Planung mit einzubauen. Am Ende des Abends haben wir beide eine Liste mit verschiedenen Routen in der Hand, die wir morgen klettern werden. Schnell bereiten wir uns noch unseren Proviant für den nächsten Tag vor (Es gibt Couscous-Salat) und packen die Kletterrucksäcke. An Material haben wir dabei: ca. 30 Expressschlingen, 2 lange Bandschlingen (zur Seilzugverminderung bei den langen Routen), 1 Kletterhelm (für den Sicherer in Schönhofen immer sinnvoll), und natürlich Gurt, Schuhe und Chalk. Einen Clipstick hätte in der ein oder anderen Route sicher auch nicht geschadet, doch leider haben wir eben diesen tags zuvor am großen Keilstein stehen lassen.
Außerdem haben wir ein 60m Seil und ein abgeschnittenes 70m Seil im Gepäck. Letzteres wird uns noch das ein oder andere Problem bescheren (ein 70m Seil ist zu kurz für eine 40m Route).

Mitten in der Nacht

um 5 Uhr klingelt der Wecker. Draußen ist es noch „stockfinster“. Weil wir aber nicht genau wissen, wie lange unsere heutige Unternehmung dauern wird, starten wir lieber zu früh als zu spät. Draußen ist es schneidend kalt. Die Scheiben des Autos müssen erst einmal freigekratzt werden. Das verspricht uns für den heutigen April-Tag zumindest keine zu warmen Temperaturen versuche ich zu argumentieren. Natascha wirkt nicht sonderlich überzeugt. Pünktlich um 6 Uhr statten wir uns bei der kleinen Bäckerei in Schönhofen noch mit Backwaren für den Tag aus und machen uns nach einer 30 Sekunden langen Autofahrt auch schon auf den Weg zu den Felsen.
Fröstelnd und mit kalten Fingern kommen wir an der „Eisenbahner-Wand“ an. Diese Wand bietet in Summe die schwersten und anspruchsvollsten Klettereien des ganzen Tages. Deshalb starten wir hier.
Meine erste Route ist auch gleich die schwerste: Die „Träge Wampe“ spielt nicht auf mein körperliches Wohlbefinden nach dem Frühstück an, sondern meint den stark überhängenden Bauch im Zentrum der „Eisenbahner-Wand“. Mit dem Schwierigkeitsgrad 9 (bzw. 7c) ist sie die schwerste Route in Schönhofen. Ich habe die Route zwar vor ca. 5 Jahren schon einmal rotpunkt klettern können, aber eine gewisse Spannung ist trotzdem da. Die Tour ist im Prinzip das „Eintrittsticket“ für unseren ganzen Versuch, denn mehr als 5-6 ernsthafte Versuche gehen für mich in der Tour einfach nicht. Gegen 6:30 ist dann alles klar: Mit einem kleinen Jubelschrei klippe ich den Umlenker der „Trägen Wampe“. Jetzt wissen wir, es gibt kein Zurück mehr.
Die Natascha hat während meiner Versuche in der „Wampe“ bereits einen ordentlichen Vorsprung an Routen erreicht. Deshalb heißt es für mich jetzt, Loslegen und versuchen auch in den perfekten „Kletterflow“ zu kommen. Der „Flow“ kommt tatsächlich und wir beide genießen die Highlights der „Eisenbahner-Wand“ in vollen Zügen. Der „Presssack“ mitsamt „Schlachtplatte“ führt Natascha zunächst durch eine technische Platte und endet mit einem großgriffigen Ausstiegsüberhang. Auch der „Rudl-Saurer-Ged. Weg“ zählt meiner Meinung nach zu den schönsten Routen der Wand (auch wenn hier selbst für Schönhofener Verhältnisse ziemlich viele Bohrhaken stecken). Sie ist von allen Routen im achten Grad, die ich heute klettern werde, bei Weitem die Schönste. Aber auch die ein oder andere weniger lohnende Route sei hier erwähnt: Die „Resterrampe“ bietet zwar schwere Kletterei, dafür aber keine eigenständige Linie und zusätzlich auch noch brüchigen Fels. Wenn man an einem Tag alle Routen eines Gebietes klettert und so die Möglichkeit zum Vergleich hat, versteht man sofort, warum manche Touren nie geklettert werden.
Den ganzen restlichen Tag über wird unsere Stimmung dementsprechend fluktuieren. So, wie uns die Perlen des Labertalkletterns Lobeshymnen entlocken, bringen uns die „Schandrouten“ Schönhofens schon mal kurz zum Zweifeln, ob Klettern wirklich der richtige Sport für uns ist.
Um kurz vor 9 Uhr geben wir uns ein energiegeladenes „High-Five“. Alle Routen an der „Eisenbahner-Wand“ sind abgehakt.
Zusammen packen wir unsere Rucksäcke und machen uns auf den Weg nach oben zum Kletterblock. Dort angekommen wird uns bewusst wie unterschiedlich die Wetterverhältnisse (selbst in Schönhofen) teilweise sein können. Die „Eisenbahner-Wand“ ist komplett trocken und windgeschützt. Der „Kletterblock“ offenbart sich heute leider als eher unfreundlich. Eine wenig einladende Schneeschicht liegt am Wandfuß und lässt alles, was mit ihr in Berührung kommt entweder nass werden (Kletterschuhe, Seil) oder erfrieren (Finger, Zehen). Außerdem herrscht permanent leichter Luftzug in Richtung Tal. Um uns diesen Umständen anzupassen, entwickeln wir einen neuen Plan: Wir wechseln uns nicht mehr nach jeder Tour mit dem Klettern ab, sondern führen meist drei Routen in Folge. So müssen die tauben Finger und Zehen zwar in der ersten Route eines „Sets“ ziemlich leiden, sind dafür aber in den folgenden Routen besser durchblutet und bleiben warm. Der Plan geht auf.

Von den Wegen am Kletterblock

sind uns nur eine Hand voll schon bekannt und so werden wir immer wieder von der Schönheit bzw. der „Kratzigkeit“ einiger Wege überrascht. Zur ersteren Sorte zählen Schmankerl wie der „Knutschfleck“, die „Lustfurche“ oder das „Fingerloch“. Den Kontrast bildet das „Krokodil“ (Vorsicht: riesige lockere Schuppe) oder der „Blumenkohl“ (die Tour aus der Einleitung). Doch bis auf diese zwei Klettereien sind die Wege am Kletterblock ausnahmslos zu empfehlen. Kein anderer Fels bietet jenen eigentlich typisch „fränkischen“ Felscharakter mit seinen wunderbar gutgriffigen „Henkelausstiegen“. Gegen 12 Uhr mittags haben wir alle Routen des „Kletterblocks“ abgehakt und freuen uns auf weniger Wind und hoffentlich mehr Sonne an der „Schwarzen Wand“.
Die „Schwarze Wand“ schließt sich in westseitiger Richtung links oberhalb an die bekannte „Labertalwand“ an. Der Fels an der Wand hat eine ungewöhnlich schöne schwarze Farbe, sieht aber deshalb auch immer leicht feucht und rutschig aus. Aber der Schein trügt in der Regel. Es überwiegt gutgriffige Plattenkletterei an scharfen „Henkellöchern“. In der wunderschönen Ausdauerroute „All along the watchtower“ wird mir, als ich mit hochrotem Kopf am Umlenker ankomme klar, wie schwer der siebte Grad manchmal sein kann. Die Kombinationsroute „Jimmy Hendrix“ verbindet die Schlüsselstellen der schwersten Routen miteinander und fordert damit immerhin den unteren achten Grad. Auch danach ist es mit den Schwierigkeiten noch längst nicht vorbei. Denn ein kleiner Überhang durchzieht die Wand im unteren Viertel und bildet bei den meisten Routen, die hier verlaufen die Schlüsselstelle. In diesen technisch anspruchsvollen Plattenklettereien und Überhängen wird uns mal wieder bewusst, welch großen Einfluss Begehungsspuren, wie Chalk auf den Griffen, auf einen Onsight-Versuch haben können. Der „Hosenscheißer“ zeigt keinerlei Chalk-Spuren und entsprechend muss ich mich über die schwer zu durchschauende Schlüsselstelle über die Dachkante kämpfen.
Natascha und ich sind uns nach den Begehungen der Routen an dieser Wand einig: Besonders die Führen im sechsten Grad wirken auf den ersten Blick viel zu harmlos. Wirft man einen zweiten Blick auf die Touren, fallen einem die hohen ersten Haken und die vielen, vielen hohlen Schuppen (teilweise stecken da auch Bühler drin), die die Wand strukturieren, auf. Für so manchen Kletternovizen mag diese Einschätzung gar nicht so einfach sein (Aber gottseidank gibt es ja Clipsticks, und Steinschlaghelme).
Nach getaner Arbeit an der „Schwarzen Wand“ gönnen wir uns schließlich doch noch eine fünf-minütige Pause und genießen ein feines Stück Gewürzkuchen vom Schönhofener Bäcker (dieses sei an dieser Stelle jedem empfohlen!). Unser Ziel scheint in erreichbarer Nähe. Bisher sind wir 41 Routen geklettert. Das heißt uns fehlen nur noch 26. Hört sich eigentlich nicht schlecht an. Zumindest bis einem klar wird, dass die „Labertalwand“ mit etwa 35m Wandhöhe, die bei Weitem höchste Wand Schönhofens ist.
Am Einstieg der „Labertalwand“ angekommen startet Natascha gleich mit einer „Kombinationsroute“. Die Wege „Pfeiler“, „Grashüpfer“ und „Tod den Projektdieben“ bilden, wenn man sie aneinanderreiht, eine der schönsten und längsten Routen in ganz Schönhofen (ca. 40 Klettermeter). Wenn man wie wir drei Seillängen aneinanderreiht, sollte man aber nie den Seilzug unterschätzen. Besonders dann nicht, wenn die Schlüsselstelle erst ganz oben wartet. Und so kommt es, dass Natascha gefühlte fünf Minuten braucht, um den Umlenker einzuhängen, denn mit gepumpten Armen entsteht durch 40m Seil und all den geklippten Expressschlingen ein Zug, vergleichbar mit einer Hundeleine, an der zehn Hunde hängen, die versuchen einer Katze nachzujagen. Aber irgendwann rutscht das Seil doch noch in den Umlenker. Wieder am Boden (das 70m Seil hat natürlich nicht gereicht) wird uns bewusst, welches Glück wir heute mit den Wetterverhältnissen haben. Trotz der Osterferien ist außer uns nur eine weitere Seilschaft an der Wand unterwegs. Die zwei Baumpfleger, die zwar Klettergurte tragen, sich aber nur um den einsam stehenden Baum vor der Wand kümmern, hegen heute keinerlei Ambitionen, die Wand zu erklettern. Sie schauen uns etwas mitleidig an und erklimmen weiter ihren Baum.

Die Temperaturen

liegen heute nur knapp über dem Gefrierpunkt und so können wir, anders als man es bei einem Schönhofen-Besuch erwarten würde, eine Route nach der anderen klettern, ohne auch nur einmal anstehen zu müssen. Unter den vielen langen und einzigartigen Lochklettereien nochmals die Besten zu filtern, wäre wie unter Beethovens 32 Klaviersonaten eine Beste bestimmen zu müssen. Das ist einfach unmöglich, denn sie sind schließlich alle genial. Trotzdem seien hier ein paar der Perlen erwähnt: Die „Luft unter den Sohlen“ (quasi die Sonate Pathétique), mit ihrem nervenzehrenden Quergang ganz oben, „Mili Milou“ (quasi die Pastorale), die durch die zwei neuen Haken leider deutlich entschärft wurde (hier habe ich als Anfänger noch meine ersten Klemmkeile gelegt), oder der „Diagonalweg“ (quasi die Mondscheinsonate), der nur dann möglich ist, wenn man alleine an der Wand ist. Der „Diagonalweg“ ist ein großartiger und beeindruckender Quergang, von der Höhle im linken Bereich, bis zum Ausstieg rechts unterhalb des großen Gipfelblockes. In der Tat denke ich bei Nataschas Begehung des „Diagonalweges“ schon mit etwas Sorge an die Mondscheinsonate, denn langsam, aber sicher wird es schon wieder dunkel im Labertal. In der Hoffnung unsere Stirnlampen nicht zum Klettern benutzen zu müssen, treten wir die letzten drei Touren des Tages an. In Route Nr. 67, der „Härte“ muss Natascha dann doch einmal mit der Stirnlampe anrücken. Doch dann ist alles geschafft. Voller Freude fallen wir uns in die Arme und diskutieren kurz darauf schon, von wo wir uns jetzt dann eine leckere Pizza holen wollen. Mit der Stirnlampe suchen wir unser, an der ganzen Wand verstreutes Klettermaterial ein und machen uns auf den Weg zurück zum Auto. Mit dem Motto „Let´s never do this again“ schalten wir die Sitzheizungen im Auto auf volle Stufe und fahren ausgelaugt aber zufrieden zurück nach Regensburg.

Warum schreibe ich nun einen solch detaillierten Bericht über einen Klettertag in einem der bekanntesten und beliebtesten Klettergebiete Regensburgs?

Nun, auf der einen Seite, weil heute richtig schlechtes Wetter ist und ich nicht klettern fahren kann. Andererseits aber auch, weil ich hoffe, dass unser Erlebnis und unsere Geschichte den ein oder anderen „Schönhofen-Kenner“ doch etwas zum Schmunzeln gebracht hat und ihn oder sie an ähnliche Erlebnisse erinnert. Oder den Leser gar dazu motiviert, eines Tages noch früher als wir aufzustehen und es uns gleich zu tun. Vielleicht noch zusätzlich die Nixenwand und den Kuglerfels anzuhängen, oder unsere Zeit von 14,5 Stunden zu unterbieten.
Auf gar keinen Fall möchte ich jemanden zu irgendwelchen „Harakiri“-Aktionen motivieren oder den Begriff des „Speed-Kletterns“ im Labertal oder Altmühltal etablieren. So etwas bleibt besser ins Yosemite-Valley. Für uns beide war das in erster Linie ein schöner Klettertag, an dem wir einmal etwas mehr geklettert sind als sonst, mehr nicht. Viel Spaß beim Klettern!
In diesem Sinne wünsche ich allen Kletterern, die demnächst mal in Schönhofen klettern wollen, mindestens genauso viel Spaß wie wir an diesem Tag hatten.

PS: Gleich am nächsten Tag fuhr ich mit einem Freund in die fränkische Schweiz um eine athletische „10-“ an der „Vergessenen Welt“ zu versuchen. No Chance ;-)




 

 

 

Letzte Änderung: 2023-12-29 (12 Monate)

Seniorengeburtstag - Der beste Kletterer ist der, der am meisten Spaß hat

von Lutz Arnold

Juli 2021

Als schlechter, aber passionierter Kletterer und fanatischer Konsument alpinistischer Neuigkeiten habe ich mir lange den Kopf darüber zerbrochen, wie ich meinen 50. Geburtstag beim Klettern feiern kann. Inspirierend: Alex Honnolds 290 (ja, 290) Free-solo-„Seillängen“ in Auf- und Abstieg an seinem 29. Geburtstag (https://www.climbing.com/videos/video-alex-honnold-solos-290-pitches-on-his-29th-birthday/).

Meine schwierige Ausgangslage bei der Suche nach einem Projekt für den Normalsterblichen: Jenseits der 40 mit dem Klettern angefangen, viel weniger Zeit dafür, als ich gern hätte, BMI 27 usw. Und halt 50. Immerhin: 7er gehen. Aber was macht man daraus zu seinem 50.? Endlich springt mir die Rechnung ins Auge: 3 plus 4 plus 5 plus 6 plus 7 ergibt 25. Das Ganze mal 2: 50! Das definiert mein Projekt für meinen 50.: je zwei Routen in den Graden 3 bis 7 (nach SFJ-Führer) punkten. (Also „Honnold“ minus drei Schwierigkeitsgrade, dafür die Routenzahl durch 30 – und natürlich mit Seil.)

In der Nacht vor meinem Geburtstag regnet es leicht. Ich sehe mein Projekt in Gefahr. Wenn ich mich vorbereitet hätte, würde ich mich fragen, ob die Vorbereitung umsonst gewesen war. Aber morgens ist es trocken und die Felsen in Schönhofen sicher auch. Ab mittags ist Regen angesagt. Ein weiterer Grund neben meinem Mangel an Ausdauer, einen Fels zu wählen, an dem die Routen nicht astronomisch lang sind. Also zur Nixenwand. Zum Start den „Linken Pfeiler“. Dann die Höchstschwierigkeit des Tages: „300 Watt“. Gerade am Start, erste Regentropfen.

Zum zweiten Mal Angst um mein Projekt. Aber nur die Treppe vom (durch den SFJ-Führer autorisierten) Senioreneinstieg von links ist etwas rutschig. Nach ein paar Tropfen hört der Regen auf, und wo’s steil wird, ist’s trocken geblieben. Beim Zug vom Seitgriff links in die Kelle rechts (die fieseligen Fingerlöcher dazwischen halte ich nicht) am dritten Haken (den zusätzlichen vom Senioreneinstieg mitgezählt) die Dynamik mobilisiert, die das Alter erlaubt, Zielgriff erreicht, Rotpunktdurchstieg klar, still jubelt der Jubilar. Bevor die Glykogenspeicher zu sehr beansprucht sind, „Puda rosa“ angehängt und durch den „Handriss“, damit sind die 6er und 7er geschafft (halbe Grade ignoriere ich, 7- zählt als 7er), der Rest ist Fleißarbeit. Als ersten 5er noch den „Faustriss“. Dann geht’s rüber an die Labertalwand. Wegen der unvorteilhaften Wettervorhersage ist’s leer geblieben. Die „Verschneidung“, den „Grashüpfer“ drangehängt, anschließend die „Rinne“ hoch. 44 von 50. Da es mit der „Westwand“ nur einen 3er gibt, den zweimal. Projekt geschafft. Im einsetzenden Regen Gipfelschnaps (Mirabelle) am Wandfuß. Dank an meine geschätzte Lebens- und Seilgefährtin (44), die (bis zur Westwand natürlich) mitgemacht hat.

Und nochmal zurück zum Ausgangspunkt („Als schlechter, aber passionierter Kletterer …“). Muss ich überdenken. Ich kann zwar nicht gut klettern. Und, ja, da reicht das fortgeschrittene Alter nicht als Entschuldigung. Andere klettern da noch glatt 11 (https://www.lacrux.com/klettern/52-jaehriger-alfredo-webber-klettert-9a-route-pure-dreaming/), und die juraclimbs-Routiniers spaßen über Alterserscheinungen in 9er-Routen. Aber nehmen wir die Definition des großen Alex Lowe:

„Der beste Kletterer ist der, der am meisten Spaß hat“

(https://www.ukclimbing.com/news/2005/10/alex_lowe_peak_the_best_climber_is_the_one_having_the_most_fun-20804). So gesehen, war ich, ohne gut klettern zu können, an diesem Vormittag vermutlich der beste weit und breit.

 

 

 


Letzte Änderung: 2023-12-29 (12 Monate)